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Nachhaltig reisen?

Ein Kommentar


Nachhaltiges Leben in der heutigen Gesellschaft. Das kleine Wörtchen „in“ ist hier von sehr großer Bedeutung. Ich habe die letzte Ausgabe des PermakulturMagazins mit Freude, aber auch mit Besorgnis gelesen. Nun meine ich zu wissen, dass das Magazin hauptsächlich an Permis rausgegeben wird, insofern ist der Effekt solcher Artikel, wie desjenigen, auf den ich mich beziehe, eher zu vernachlässigen. Da das Ziel des PermakulturInstituts und wohl aller Permakultur-Enthusiasten aber ist, das Konzept als eine zukunftsfähige Lebensweise bekannter zu machen, sollte meines Erachtens auf die Außenwirkung öffentlich zugänglicher Schriften geachtet werden. Wovon spreche ich? Eigentlich eine sehr beeindruckende Sache, die G. da im sehr gut geschriebenen Artikel über „Die (Un)Nachhaltigkeit des Reisens“ schreibt. Ich zumindest fühle mich einerseits bewundernd-inspiriert, anderseits auch etwas demotiviert, weil ich selbst nicht so nachhaltig lebe. Ja, ich achte auch darauf, kein Plastik zu kaufen und beim privaten Einkauf so regional wie mir in der jeweiligen Situation möglich. Aber die vermehrte Abnutzung der Klamotten auf Reisen? Über die mache ich mir keine Gedanken. Ich schreibe „privat“, weil ich ein Unternehmen habe, das Konsumprodukte entwickelt, herstellt und vertreibt. Hauptsächlich auf Basis der Kokosnuss. So gar nicht regional. Bio, vegan, plastik- und weißzuckerfrei, die Kokosplantagen selbst werden in Mischkultur bewirtschaftet (bei der langen Nutzungszeit von Kokospalmen ist eine Unterpflanzung das einzig Sinnvolle, um die Fläche optimal zu nutzen und im Bioanbau machen die Bauern das sehr gut), der Versand erfolgt klimaneutral, aber nichtsdestotrotz: Produkte, die in sich nur den Nutzen haben, die kurze Genusssucht der Menschen zu befriedigen, sind nicht einfach so ohne Weiteres als nachhaltig zu bezeichnen oder mit den Permakulturprinzipien unter einen Hut zu bringen. Auch nicht, wenn sie als bessere Alternative zu konventionellen Produkten geschaffen wurden. Als frisch gebackene PermakulurDesignerin hat mir das schon schlaflose Nächte bereitet. Inzwischen aber sehe ich die Dinge etwas differenzierter. Wir leben IN einer Gesellschaft, die aktuell - leider – so ist, wie sie ist. Mit Menschen, deren Antrieb oft Bequemlichkeit, Genusssucht, die Vermeidung aller Veränderung ihres lang gepflegten Lebensstils ist. Wenn es u.a. diese Menschen sind, die wir aus ihrer Komfortzone holen wollen, (und das sind sie!) müssen wir IN die Gesellschaft, die wir ändern wollen und uns nicht bewusst zu sehr davon abgrenzen. Wir sollten uns nicht als schräge Außenseiter präsentieren – deren Ziele dem „normalen“ Konsumenten jenseits der ökologischen Szene nicht erstrebenswert erscheinen, weil sie hinter Ansprüchen verblassen, die für die Meisten zu große Kompromisse erfordern würden. Ja, auch Züge und Kinos verbrauchen Energie. Aber sollten wir nicht den Schritten in die richtige Richtung unsere Anerkennung zollen, statt sie zu verteufeln, weil sie zu wenig sind, um dem Planeten morgen ein gesichertes Überleben bescheinigen zu können und uns, wieder ganzkörperbehaart, aber zufrieden mit unserer Leistung, auf die müffelnden Schultern zu klopfen? Übertrieben, klar. Und ich würde die Sache mit dem vermehrten Körpergeruch deutlich dem Bild von verhungernden Eisbären und verbrannten Orang Utans vorziehen. Wir werden zu einer gesunden, grünen Welt, aber nicht hinkommen, wenn wir nicht Vorbilder sind. Der Begriff „Vorbild“ impliziert nicht nur, dass man es besser macht, sondern auch, dass andere folgen wollen! Ich bewege mich viel in Kreisen, die das Wort Permakultur noch nie gehört haben. Für sie wäre es ein fantastischer Fortschritt, den Zug zu nehmen, statt von Berlin nach Frankfurt zu fliegen. Wenn ihnen als erstes vor Augen gehalten wird, dass auch das nicht einwandfrei ist, wie werden sie wohl reagieren? Aus permakultureller Sicht sollten wir mit dem arbeiten, was wir haben. Ich sehe unsere Gesellschaft und die Rettung unserer Mutter Erde als riesiges Design-Projekt. Ein Designer sollte IN seinem Projekt stehen, leben, sein und werden. Er sollte sich das zu Nutzen machen, was vorhanden ist und

nicht von außen den Kopf darüber schütteln, wie fehlerhaft doch die einzelnen Elemente sind, mit denen er arbeiten muss. Ein Apfelbaum wird von sich aus niemals Kirschen tragen. Der Nachbar, der selbstgepflücktes Obst geschenkt bekommt, im Austausch dafür, dass man in seinem Garten zelten darf, ist keine andere Kultur. Wir leben in einer globalisierten Welt und sollten deshalb alle erneuerbaren Ressourcen nutzen, die wir haben. Ein Leben als positives Vorbild, das Nachahmer anzieht, gehört für mich dazu. Ich glaube, wir alle können mehr bewirken, wenn wir möglichst viele Leute auf den richtigen Weg bringen. Und nicht ein paar Vereinzelte direkt ans Ziel, während die anderen komplett unberührt bleiben und aus Angst und Abscheu gar nichts ändern. Deshalb hätte ich mir gewünscht, dass es neben Gregors Artikel noch einen gibt, der nachhaltiges Reisen etwas allgemeintauglicher darstellt. Für Menschen, denen Umweltschutz und Nachhaltigkeit auch wichtig sind und die trotzdem alle 10 Jahre in den Flieger steigen, um vielleicht ein Permakulturprojekt in Afrika zu besuchen. Ich habe Menschen kennengelernt, die hochsoziale Großunternehmen gegründet haben. Die sich verrückt machen, weil die Flugkosten zu einem ihrer Projekte den Bau von fünf Brunnen ermöglicht hätten und die Filmarbeiten vor Ort aber so wichtig sind, dass dieser Verlust in Kauf genommen werden musste. Und die sich als Lösung dann in dem Monat kein Gehalt auszahlen. Menschen, die unvorstellbare Summen auf dem Konto haben, aber mit dem Zug in der zweiten Klasse anreisen und ihr Fahrrad für die ökologisch annehmbare Fortbewegung vor Ort gleich mitbringen. Ich ziehe den Hut. Ganz genauso wie vor Gregors Lebensstil. Aber letzterer ist das Ziel. Nicht der Weg. Wie sieht nun meine Vorstellung vom Paradox nachhaltiges Reisen aus? Ich denke, wir sollten öfter ins örtliche Kino (ins alte, das eh schon gebaut ist und von Ansässigen betrieben wird) gehen, öfter den Zug nehmen. Öfter unsere eigene Kultur kennenlernen, bevor es uns an vormals unberührte Sandstrände zieht. Da gibt es sooo viel, was wir noch nicht kennen und Orte, die sich an jedem Traumstrand messen können. Und wenn es doch der tropische Strand sein muss? Man kann Ausgleichszahlungen vornehmen und Bäume pflanzen lassen, wenn man zum Meeresschildkröten retten fliegt. Man kann Kindern Englisch beibringen und mit Permakulturprojekten nachhaltigen Lebensunterhalt für Familien aufbauen. Man kann aber auch ab dem ersten Flughafen nur noch den Rucksack und die eigenen Körperkraft nutzen. Und vor Ort essen, was zuhause nicht regional, aber heißbegehrt ist, während man Bilder in die Welt schickt, die nicht dazu dienen, den eigenen Bauchnabel im Luxushotel oder am romantischsten Tempel von Myanmar zu präsentieren, sondern auf Missstände aufmerksam zu machen. Und damit vielleicht mehr Menschen berühren als man es vom heimischen Palettensofa jemals geschafft hätte. PS: Wie hat Gregor die Schiffsreise nach Island gestaltet? Welcher Grad Nachhaltigkeit ist dort möglich? Welche konkreten Tricks und Tipps gibt es auf solchen Fernreisen, die für die meisten Leute der eigentliche Inbegriff von Urlaub sind? Das wäre noch einen weiteren Artikel wert!


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